Dr. Sorger beantwortet diese Frage aus drei Perspektiven:
1. Es ist nicht zwingend notwendig, dass Ameisen beim Ameisen-Picknick Experiment sterben ABER Ameisen müssen genau dort wo sie gesammelt wurden auch wieder freigelassen werden.
Das Experiment kann umgesetzt werden, ohne dass Ameisen dabei sterben. Ich empfehle zwar die Ameisen ins Gefrierfach zu legen, wenn sie nicht sofort gezählt werden können, aber wenn ihr euch dafür entscheidet, die Ameisen am Leben zu erhalten, dann bedenkt bitte, dass die Ameisen GENAU DORT wo sie gesammelt wurden auch wieder freigelassen werden müssen. Wenn sie ihre zuvor gelegte Duftspur oder andere Zeichen (einige Ameisenarten verwenden zum Beispiel visuelle Orientierungspunkte), die sie zurück zu ihrem Nest leiten nicht mehr finden können, dann werden sie nicht lange überleben und das lässt sich damit gleichsetzen, sie umzubringen.
2. Ameisenarbeiterinnen lassen sich nicht mit den meisten anderen Tieren als Individuen vergleichen.
Alle Ameisenarten sind eusozial. Das bedeutet, sie haben eine Reihe von Charakteristiken, die nur wenige andere Tiere besitzen. Ameisen leben in sozialen Gruppen (genannt Kolonien) mit kooperativer Brutpflege, überlappenden Generationen und Arbeitsteilung in fortpflanzungsfähige und nicht-fortpflanzungsfähige Individuen (sogenannte “Kasten”). Die Ameisenkönigin und Männchen (falls vorhanden) sind fortpflanzungsfähig, während Arbeiterinnen (obwohl sie auch weiblich sind) sind üblicherweise steril und verkörpern daher eine nicht fortpflanzungsfähige Kaste.
Somit lässt sich ein Ameisenstaat als riesiger Organismus (oft auch “Superorganismus” genannt) betrachten, worin jede Ameise einen Teil des großen Ganzen darstellt und alleine nicht lebensfähig ist. Das lässt sich zum Beispiel mit unserem menschlichen Körper vergleichen. Wir haben viele Zellen (Hautzellen, Knochenzellen, Muskelzellen, …), die zusammenarbeiten, um einen großen Organismus zu bilden: einen Menschen. Natürlich sind manche Zellen wichtiger als andere, zum Beispiel können wir nicht ohne ein Herz überleben, welches aus nicht-regenerativen Muskeln und anderen Zellen besteht, aber wenn wir unsere Haut leicht verletzen oder einen Knochen brechen, kann unser Körper das im Normalfall reparieren. In einer Ameisenkolonie ist die Königin die einzige, die Eier legt und ohne sie kann die Kolonie nicht überleben, da Arbeiterinnen üblicherweise keine weiteren Arbeiterinnen produzieren können. Deswegen ist die Königin wie das Herz; der “Superorganismus” kann ohne sie nicht überleben. Eine einzelne Arbeiterin hingegen hat immer eine bestimmte Aufgabe (z.B. Brutpflege, Nahrungssuche, Auskundschaften, Verteidigung), aber sie ist nie die einzige, die diese Aufgabe erledigt. Wenn sie ausfällt, gibt es immer andere Arbeiterinnen, die ihre bestimmte Aufgabe übernehmen können. Die Königin hat darüber hinaus die Möglichkeit, weitere Arbeiterinnen zu produzieren, um offene Aufgaben zu erfüllen. Somit ist eine Ameisenarbeiterin eher gleichzustellen mit einer Haut- oder Knochenzelle, welche sich regenerieren kann. Wenn eine Verletzung stattfindet, kann sich der Körper selbst heilen, indem er die Zellen, die verloren gegangen sind, einfach neu produziert.
Ein weiteres Beispiel wäre es, eine Ameisenkolonie mit einem Nadelbaum zu vergleichen. Wenn man einen Ast komplett von seinen Nadeln befreit, überlebt der Baum trotzdem. Er lässt die Nadeln einfach nachwachsen. Hier lassen sich Arbeiterinnen mit den einzelnen Nadeln vergleichen. Wenn allerdings die Königin stirbt ist das so, als würde man den Baum fällen oder entwurzeln.
3. Probensammlung (welche Tötung erfordert) für wissenschaftliche Zwecke.
Töten ist niemals in Ordnung, wenn es nur aus Spaß getan wird. Allerdings gibt es Gründe, die eine Tötung erforderlich machen, zum Beispiel, um zu überleben (als Nahrungsquelle oder aus Selbstverteidigung) oder um zu wissenschaftlichen Zwecken, wie zum Beispiel für dieses Projekt. Bei der Insektenforschung speziell (aber auch für viele andere Gruppen) ist es praktisch nicht möglich, die Tiere zu erforschen, ohne nicht zumindest einige Individuen zu töten. Bei Ameisen ist es zum Beispiel oft notwendig, winzige Härchen an bestimmten Körperstellen zu zählen oder genaue Abmessungen vorzunehmen, nur um die Ameisenart zu bestimmen! Dazu muss üblicherweise ein Tier auf einer Nadel präpariert werden, welches folglich in einer Forschungssammlung aufbewahrt wird. Ohne dieser Forschungssammlungen hätten wir kein Verständnis davon, wie viele Arten es auf der Welt gibt und wie man sie erkennt. Wir wüssten auch nicht, wie häufig bestimmte Arten vorkommen und welche Arten geschützt werden müssen. Insektensammlungen sind unheimlich wertvoll, nicht nur um zukünftigen Generationen von Entomologinnen (Insektenforscherinnen) die detaillierten Erkennungsmerkmale von Ameisen und anderen Tieren zu lehren, sondern auch um Daten über die Vergangenheit zu sammeln, die im Gegenzug dabei helfen werden Forschungsfragen wie diese zu beantworten: Welche Auswirkungen haben Umweltfaktoren auf die Verbreitung von Arten über einen längeren Zeitraum?